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Gebärden für Einsteiger 2: Eine 'step by step'- Anleitung

Gebärde für 'fertig'

Schritt für Schritt: So hat Marie Gebärden gelernt 

Wie im vorherigen Artikel bereits angekündigt, möchte ich euch heute unser persönliches Vorgehen beim Gebärden vorstellen. Falls ihr der Typ Mensch seid wie ich - schnell das Vorgeplänkel überblättern, damit man direkt zum springenden Punkt kommt - noch einmal kurz der Hinweis: ich bin keine Fachfrau für Gebärden, sondern beschreibe hier nur unseren persönlichen Weg.

0. Stellen für Unterstützte Kommunikation: 

Ok... jetzt muss ich doch noch etwas vorneweg schicken: Falls ihr Gebärden aufgrund einer ausbleibenden oder starken Sprachentwicklungsverzögerung lernen möchtet, empfehle ich euch zu allererst nach Beratungsstellen für Unterstützte Kommunikation zu googlen. Die sind absolut großartig, helfen euch, eurem Kind und dem Kindergarten (!), finden das passende Kommunikationsmedium, schreiben Anträge und Widersprüche... also wirklich eine tolle Sache - mit einem entscheidenden Haken: Die Warteliste (zumindest bei uns) ist EWIG. Wir mussten ein volles Jahr warten. Daher gilt: Stellt euch in jedem Fall auf die Warteliste. Wenn sich die Beratungsstelle nach der Wartezeit meldet und ihr den Platz nicht braucht, freut sich die nächste Person. Solltet ihr aber noch Hilfe benötigen, seid ihr dankbar, vor einem Jahr so schlau gewesen zu sein, euch einzutragen.

1. Auswahl der Gebärde: 

Begonnen haben wir mit nur einer Gebärde. Marie war zu dem Zeitpunkt 22 Monate alt. Wir wählten "Essen", da sie für Marie wie für uns wichtig war, klar verständlich ist und sich oft im Alltag wiederholte. Heute würde ich sagen, dass "Schnuller" (die Gebärde brachte sich Marie dann selbst bei) vielleicht sogar noch besser klappen kann. Ich glaube, Gebärden, die eine direkte Konsequenz versprechen (wie eben Essen oder Schnuller bekommen), sind leichter für den Start als beispielsweise Tiergebärden. Andererseits: Wenn es etwas gibt, das euer Kind über alle Maßen begeistert - Vielleicht ist genau das dann der richtige Start. Legt für den ausgewählten Begriff eine Gebärde fest. Diese muss noch nicht einem Gebärdensystem entsprechen, weil es ja erst mal nur ein Versuch ist. Ihr könnt natürlich trotzdem einfach mal nach der Gebärde googlen oder mir gerne dazu schreiben.

2. Einsatz der Gebärde: 

Und los geht‘s: Jedes Mal, wenn es um euren Begriff geht, führt ihr nun die Gebärde zusätzlich zum verbalen Ausdruck aus. Natürlich hilft es, wenn euer Kind euch dabei anschaut, aber falls es das nicht tut, muss das kein Problem sein: Autist*innen lernen anders und nehmen sogar Informationen wahr, die nicht im direkten Blickwinkel liegen müssen. Wir gebärdeten also "Essen" bei allen Mahlzeiten und Snacks. Wenn Marie mehr wollte, wiederholte ich kurz die Gebärde und fragte "Mehr essen?". Und euer Kind? Euer Kind darf einfach zuschauen und muss gar nichts machen.

Was bei uns auch super klappte und immer noch klappt, sind Lieder mit Gebärden zu begleiten. Es gibt dafür ganze Liederhefte (und auch schöne Bilderbücher, übrigens), wobei wir das Gebärden-Singen eher freestyle (eben sehr passend zu Mamas schiefen Tönen ;-) ) machen.

3. Eine kleine Mitmach-Pause einführen: 

Nachdem wir immer wieder "Essen" gebärdet hatten, sicher mindestens eine Woche, machten wir, wenn Marie schon aufgrund der Situation klar war, dass es Essen gibt, eine Pause und schauten sie an. Ganz wichtig: Es geht dabei nicht darum, dass Kind zu zwingen oder es "auszusitzen". Diese Pause dauert nur wenige Sekunden. Warum? Ich stelle immer wieder fest, dass Marie durchaus auf Fragen antwortet, aber für ihre Antwort einfach sehr viel länger braucht. Wenn ich also zu schnell bin, kann sie einfach nicht mit kommunizieren. Wenn das Kind die Gebärde (oder ganz wichtig: irgendeine Bewegung, die in die Richtung gehen könnte) zeigt, sofort Wort und Gebärde wiederholen und den Begriff befolgen, also zum Beispiel das Essen (oder den Schnuller) geben. Das Kind lernt dadurch, dass es mit der Gebärde etwas bezwecken kann. Juhu!

Wenn das Kind nicht reagiert, macht das nichts. In dem Fall einfach Gebärde und Wort wiederholen und weiter machen wie bisher. Bei Marie dauerte es mehrere Wochen, bis die erste Gebärde kam. Wie das Sprachverständnis dem Sprachausdruck voraus geht, geht das Gebärdenverständnis dem Gebärdengebrauch voraus.

Marie mag es gerne, wenn wir ihre Hand führen, zum Beispiel, wenn wir Lieder singen, die wir begleitend gebärden. Sie hält meine Hände und gebärdet dann bei meinen Bewegungen passiv mit. Auf diese Weise haben wir ihr auch die Gebärde für „mehr“ (bei uns gleichbedeutend mit „nochmal“) beigebracht: Marie saß auf meinem Arm, während ich sang und wir uns im Kreis drehten. Sie hielt dabei meine Hand fest. Am Ende des Verses hielt ich kurz inne, bewegte meine Hand für die Geste für „mehr“ und Marie machte somit mit.
Ich kann mir vorstellen, dass es an dieser Stelle sehr auf das Kind ankommt. Für Kinder wie Marie, die Hilfe bei der Koordination benötigen, können solche Hilfestellungen nützlich sein. Aber eben nie unter Zwang oder mit Druck; das Kind soll schließlich Freude an den Gebärden gewinnen.

4. Abwarten: 

Es dauert und kostet Geduld. Das Gute ist: Wenn man mit nur einer Gebärde beginnt, kann man das wunderbar im Alltag einfließen lassen, ohne das es einen Mehraufwand bedeutet.

5. Weitere Gebärden einführen: 

Als Marie "Essen" als Gebärde gelernt hatte, nutzte sie diese für alle möglichen Dinge, die sie haben wollte. Das war für uns der Punkt weitere Gebärden einzuführen. Auch hier lieber erst mal wenige Gebärden verwenden, damit das Kind nicht überfordert wird. Unsere erste Gebärden waren folgende:

 - essen
 - trinken
 - Schnuller
 - mehr / nochmal
 - fertig
 - nein ("ja" benötigten wir nicht, da sie es sprechen kann)
 - nach Hause
 - Tschüss
 - schlafen

Jetzt wäre auch ein guter Moment, um sich für ein Gebärdensystem zu entscheiden. Je mehr Gebärden euer Kind kann, desto schneller und mehr Gebärden könnt ihr einführen.

6. Eine Gebärde für sich selbst, Mama, Papa & Co. 

Wir gebärden selten die Gebärden für Mama, Papa und Paula, da Marie diese Wörter spricht. Womit wir aber vor kurzem begannen, ist, eine Gebärde für sie selbst einzuführen. Marie nutzt sie noch nicht, aber wir hoffen, dass sie dadurch die Möglichkeit bekommt, zwischen sich und anderen zu unterscheiden.

***

So, war also unser Weg. Aktuell verwendet Marie aktiv ca. 20- 25 Gebärden. Bedenkt man, dass sie nun fast 3,5 Jahre alt ist, seht ihr, wie lange vieles gedauert hat. Manche Gebärden gebärde ich seit Ewigkeiten, aber sie werden nicht wiederholt, andere, z. B. "Schildkröte" lernte Marie innerhalb eines Tages. Manche Gesten nutzte Marie auch nur für eine begrenzte Zeit, genauso wie sie definitiv Lieblingsgebärden (aktuell wieder "Vogel") hat. Sie gebärdet "Bus", sagt aber "tschuktschuk", wenn sie mit dem Zug fahren will. Ich liebe diesen herrlichen Mix aus Wörtern, Lauten und Gebärden!

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