In meiner Arbeit als Psychotherapeutin kommt bei fast allen Patient*innen früher oder später das Thema Selbstwertgefühl zur Sprache. Zu Hause als Mutter frage ich mich, wie ich meine autistische Tochter darin unterstützen kann, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln- in einer Welt und einem Alltag, der ihr immer wieder zeigt, dass sie "anders" ist.
Eine kleine, aber wichtige Alltagsbeobachtung
Letzte Woche bei der
Ergotherapie beobachtete ich folgende Szene: Eine Mutter unterhielt sich in
Anwesenheit ihrer ca. siebenjährigen Tochter über die Therapiestunde mit der
Ergotherapeutin. "Sie hat sich heute richtig gut konzentriert",
meinte die Therapeutin und die Mutter antwortete: "Oh wie schön, dann hatte
sie heute also einen guten Tag."
Warum schreibe ich über
diese Beobachtung und was hat sie mit Selbstwertgefühl zu tun? In der
Psychologie sprechen wir von Attributionen, also von Ursachenzuschreibungen. Es
ist ein spannendes Feld, denn es verbindet wissenschaftliche Theorien unmittelbar mit unserem Alltagserleben.
Die Theorien beschäftigen sich damit, wie und warum Menschen Geschehnissen
Ursachen zuschreiben. Dazu gehören alle möglichen Situationen: Warum jemand
erfolgreich ist und der andere nicht, warum der eine verlassen und die andere
einen Heiratsantrag bekommt. Menschen machen sich ganz automatisch Gedanken darüber,
warum Dinge so passieren, wie sie eben passieren.
Wenn man Erfolg hat, kann
man die Ursachen bei sich selbst oder den Umständen suchen. Man kann sich
außerdem fragen, ob es Zufall war oder ob dieser Erfolg wieder so auftreten
wird. Und zu guter Letzt kann man sich fragen, ob sich der Erfolg auch auf
andere Situationen übertragen lässt oder nur auf diese eine spezifische
Situation zurückzuführen ist.
Gesunde Menschen neigen
dazu, Erfolge als stabil, internal und global zu bewerten: „Ich bin kompetent,
das zeigt sich in vielen Situationen und wird auch so bleiben.“ Misserfolge
hingegen werden mit äußeren Umstände ("dieser gemeine Prüfer!")
begründet, als spezifisch für die Situation ("War halt auch ein schweres
Fach") bewertet und sie haben für die Person eine geringere Aussagekraft
über zukünftige Erfolge ("Nächstes Mal wird es besser!"). Nun weiß
man, dass depressive Menschen oft genau andersrum denken: Der Erfolg war
Zufall, nächstes Mal wird es wieder schlecht laufen und überhaupt sagt dieser
Erfolg nichts über meine Kompetenzen in anderen Bereichen aus. Aber Misserfolg,
oh ja, der hat mit mir zu tun, der findet immer und überall statt und das wird
auch so bleiben.
Was Eltern und Therapeut*innen tun können
Zurück zur
Rückmeldesituation in der Ergo: Ohne Absicht hat die Mutter den Erfolg ihrer
Tochter auf die äußeren Umstände (nämlich die Tagesform) geschoben. Was
bedeutet das für das Kind? Das Mädchen lernt womöglich, dass sie sich ja
eigentlich nicht konzentrieren kann und dass ihr heutiger Erfolg nichts mit ihr
zu tun hat. Passiert dies immer wieder, könnte sich diese Einstellung
womöglich in ihr manifestieren und sich auf andere Lebensbereiche ausweiten.
Kinder, die Schwierigkeiten
in ihrer Entwicklung haben, sind immer und immer wieder Herausforderungen
ausgesetzt. Sie merken, sie sind anders, ihre Umwelt zeigt ihnen bewusst und
unbewusst, dass sie so "nicht richtig" sind. Es gilt an
uns als Eltern und Therapeut*innen diesen Kindern Zuversicht, Liebe und
Selbstbewusstsein zu vermitteln. Ihnen zu zeigen:
"DU machst Fortschritte
und DU machst das großartig."
"DU kannst dich IMMER BESSER konzentrieren."
"NUR
HEUTE war kein guter Tag, das nächste Mal wird es bestimmt wieder besser."
"DU
machst das so toll, bestimmt wird dir das AUCH IN ANDEREN Situationen leichter
fallen."
Kommentare
Kommentar veröffentlichen