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Wenn man mich mit meiner autistischen Tochter sieht,...

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Wenn man mich mit meiner autistischen Tochter sieht,


... könnte man meinen, ich sei eine krasse Attachement Parenting Mutter, denn ich trage mein (ein Meter großes) Kindergartenkind noch immer (in der Kraxl) durch die Großstadt. Was ihr nicht seht: Die Kraxl ist Maries Zufluchtsort bei Reizüberflutung.


... könnte man meinen, dass ich es mit der Bindungsorientierung doch etwas zu weit treibe, denn wenn es hart auf hart kommt kuscheln Marie und ich auch im Regen auf der Bordsteinkante mitten in der Großstadt. Was ihr nicht seht: Wenn es für Marie zu viel wird, wird es zu viel. Dann müssen wir schnell handeln und Sicherheit schaffen.

... könnte man meinen, ich sei laissez-faire, denn ich lasse meiner Tochter Dinge durchgehen, die Andere beanstanden würden. Was ihr nicht seht: Das Befolgen jeder noch so selbstverständlichen sozialen Regel ist für Marie eine Herausforderung. Wir entscheiden uns daher nur für die Regeln, die uns wirklich wichtig sind.

... könnte man meinen, ich erziehe autoritär, denn manche Regeln kommuniziere ich kurz, knapp und ohne Widerworte. Was ihr nicht seht: Damit Marie eine Regel versteht, muss sie möglichst einfach gehalten sein. Ein "Nur gucken!!" ist, gerade wenn Marie überfordert ist, das Maximum, was sie noch verstehen kann. Erst wenn wir die nötige Ruhe haben, kann ich geführt Alternativen zeigen.

... könnte man meinen, dass ich es mir einfach mache, denn meine dreieinhalb jährige Tochter bekommt noch einen Schnuller, wenn sie ihn braucht. Was ihr nicht seht: selbststimulierendes Verhalten ist für Marie wichtig, um sich in schwierigen Situationen konzentrieren zu können. (Und ja, manchmal brauche ich auch eine Verschnaufpause)

... könnte man meinen, ich sei eine Helikopter- Mutter, denn ich lasse mein Kind keine Sekunde aus den Augen. Was ihr nicht seht: Marie erkennt schwer Gefahren und ihre Neugierde ist oft so groß, dass sie beim Entdecken dieser Welt mehr Führung braucht als Andere.

... könnte man meinen, wir seien die letzten Ökos, denn wir verbringen die meiste freie Zeit im Wald. Was ihr nicht seht: Der Wald ist der ideale Ort um sich auszuprobieren, an dem man Tannenzapfen werfen kann ohne schief dabei angesehen zu werden, in denen die Gefahren überschaubar und die Routine eingespielt sind.

... könnte man meinen, ich sei eine krasse Förder-Mutti, denn unser Haushalt ist voller Bildkarten und TEACCH Materialien. Was ihr nicht seht: Gewöhnliches Spielzeug findet Marie oft nur kurzzeitig spannend oder interessiert sie nicht. Kurze Förderspiele holen Marie genau da ab, wo sie steht.

Wer ich wirklich bin? Sarah. Maries Mama. Autismusmama.

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