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"Gestern warf Marie mal wieder ihre Stifte wild durch die Gegend und - da wir die Regel haben: Wer etwas runter wirft, muss es wieder aufheben - das anschließende Aufheben war ein ziemlicher Kampf."
Sieht man diese Aussage allein, so könnte man denken, dass die ganze Situation ziemlich nervig für alle Beteiligten gewesen sein muss. Würde man nur das Ende sehen (Stifte durch die Gegend geworfen), würde man sich aufregen, man wäre vielleicht auch enttäuscht, wütend oder traurig.
Ich will euch aber die ganze Geschichte erzählen:
Gestern rief Marie "Mama" (Jubelmoment Nr. 1), zeigte auf Papier (Jubelmoment Nr. 2) und machte einen Laut, der nach "haben" klang (Jubelmoment Nr. 3). Ich fragte: "Möchtest du das Papier haben?" und sie antwortete "Ja" (Jubelmoment Nr. 4). Mit der entsprechenden Gebärde für Malen fragte ich sie, ob sie malen wolle. Sie imitierte die Gebärde (Jubelmoment Nr. 5) und lief an den Tisch. Marie kritzelte konzentriert auf dem Papier (Jubelmoment Nr. 6) und ich malte eine Blume. Marie sagte "Bl"- ihr Wort für Blume (Jubelmoment Nr. 7). Kurze Zeit später hatte sie keine Lust mehr und warf die Stifte durch die Gegend. Wir brauchten lange, bis sie die Stifte wieder einsammelte, aber am Ende waren alle wieder in der Dose (Jubelmoment Nr. 8).
Acht echte Jubelmomente!, denn nichts davon ist selbstverständlich. 27 Monate habe ich auf das erste zielgerichtete "Mama" gewartet und egal ob beide Kinder mich wirklich sehr viel rufen, mein Herz schmilzt (RW) weiterhin bei jedem "Mama". Es ist das schönste Wort der Welt! Auch dass Marie zeigt und imitiert ist großartig, dass sie sogar versucht Wörter zu sprechen, ist der Oberknaller! Sie kommuniziert auf ihre Weise und sie und ich freuen uns, dass wir einander verstehen. Klar, es wäre schön, wenn sie nicht die Stifte geworfen hätte, aber möchte ich mir davon dieses tolle Ereignis kaputt machen lassen?
In der Psychotherapie nennen wir gedankliche Verzerrungen auch "Denkfehler". Das "Alles-oder-nichts" Denken gehört dazu: Entweder alles ist toll oder überhaupt nichts. Wenn die Tage anstrengend sind, neigen Menschen manchmal dazu, den Blick auf die vielen kleinen Freuden des Alltags zu verlieren. Nach den letzten harten Wochen habe ich das auch bei mir bemerkt. Also habe ich mich überredet das zu tun, was ich auch meinen Patienten aufgebe: Mich hinzusetzen und aufzuschreiben, was denn alles gut war in unserem Alltag. (Aufschreiben ist tatsächlich besser als gedankliche Aufzählungen- da triftet man zu schnell ab und man hält auch kein Ergebnis in den Händen). Denn ganz wichtig: Es ist meine Aufgabe - nicht Maries! - meine Wahrnehmung auf all das zu richten, was gut läuft.
P.S.: Unter #diegrossenkleinenalltagsfreuden findet ihr in den kommenden Tagen Auszüge unser Jubelmomente bei Instagram (@a_variation_of_normal).
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