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Inklu..what?!

Photo by Sharon McCutcheon from Pexels

Inklusion ist so ein Thema, das interessiert einen meist erst dann, wenn man selbst betroffen ist. In der Theorie wünschen wir uns, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der Diversität vollkommen normal ist. Kinder unterschiedlicher Herkünfte sollen genauso willkommen sein, wie Kinder mit zwei Mamas oder zwei Papas, von Alleinerziehenden, Kinder mit und ohne Behinderung. Ich glaube, fast jeder würde das erst Mal so unterschreiben, aber wenn es darauf ankommt, fällt es manch einer/m doch schwerer, als sie/er denkt.

Inklusion, Toleranz und Hilfsbereitschaft sind Werte, die, zumindest in meiner Filterblase, ziemlich weit oben stehen. Voller stolz berichten Mütter auf dem Spielplatz, dass ihr Paul ja total klasse mit dem kleinen Jeremy ("weißt schon, der Autist von nebenan") umgehen könne. Paul wisse einfach viel schneller als andere, was der Junge brauche. Ich finde: Das dürfen diese Eltern tatsächlich stolz erzählen, denn es ist klasse, wenn Kinder offen und feinfühlig anderen gegenüber aufwachsen.

Manchmal habe ich jedoch den Eindruck, dass diese Eltern Inklusion erst dann toll finden, wenn sie schon fertig abgeschlossen ist. Wenn es auf dem Weg Probleme oder Einschränkungen gibt, kommen sie in Interessenskonflikte: Es ist ja schön und gut, dass Jeremy in der Gruppe ist, aber dass der Kindergartenausflug in den Wald jetzt nicht am Weiher vorbeigeht (da springt Jeremy nämlich in Windeseile hinein), sondern "nur" zu den Wald-Iglus, das ist dann doch ziemlich blöd. Ein Stück weit kann ich das nachvollziehen: Wir Eltern wollen das Beste für unsere Kinder und an dieser Stelle prallt der Wunsch, dem eigenen Kind möglichst viel zu bieten, auf den Wunsch, dass das Kind Inklusion kennen lernt, aufeinander. Gleiches gilt, wenn Jeremy im Sandkasten die Sandburgen anderer Kinder niedertrampelt- nicht aus Böswilligkeit, sondern weil er noch nicht versteht, dass diese Sandburg nicht genau für ihn zum runtertrampeln aufgebaut wurde.

Was echte Inklusion bedeutet

Ich glaube, echte Inklusion kann nur gelingen, wenn alle Eltern und Bezugspersonen sich ihre Wertehierarchie vor Augen führen und entscheiden: Ja, ich will, dass mein Kind in einer Welt aufwächst, in der jeder Mensch wertvoll ist. Wenn Vielfalt innerhalb der Gruppe wichtiger ist als Aktivitätenvielfalt. Wenn wir lernen, Verständnis für andere zu entwickeln, die erst Mal von unserer normativen Wohlfühlzone abweichen.

Ich glaube aber auch, dass wir Eltern besonderer Kinder uns ebenfalls an die eigene Nase fassen (rw) dürfen/ sollten. Seien wir mal ehrlich: Nur weil wir jetzt bei Inklusion ganz laut "HIER" rufen, heißt das nicht, dass wir in unserem "früheren Leben" vor Toleranz gestrotzt haben. Lese ich Beiträge in manch einem Forum, so frage ich mich, wie wir Akzeptanz für unsere Kinder fordern wollen, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, anderen offen und tolerant gegenüber zu treten. Das gilt, finde ich, übrigens auch, wenn wir uns über die Wehwehchen anderer Eltern aufregen, die sich doch eigentlich nicht zu beschweren haben. Inklusion für mich heißt, dass die Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen aller Menschen, auch die, die es vielleicht leichter haben als wir, berücksichtigt werden. Um unseren Kindern Teilhabe zu ermöglichen, sollten wir im Gespräch bleiben mit anderen Eltern, auch wenn deren Sichtweise nicht immer leicht anzunehmen ist.

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