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Darf man Geburtstage ausfallen lassen?

Photo by fotografierende from Pexels
Aktuell treibt mich eine Frage um. Marie wird in ein paar Wochen stolze drei Jahre alt. Drei Jahre! Es ist der Klischee-Satz schlechthin, aber: Ja, die Zeit vergeht wie im Flug. Nur: Wie feiert man einen Geburtstag, wenn das Kind noch gar nicht versteht, was das eigentlich soll?

Meine Geburtstage sind mit die schönsten Kindheitserinnerungen, die ich habe. Bei uns wurden Geburtstage jedes Jahr zelebriert: Luftschlangen, Girlanden und Luftballons, bunter Geburtstagskuchen, ein Tisch voller Geschenke. Geburtstagslieder. Hochleben lassen. Besuch, noch mehr Kuchen und noch mehr Geschenke. Für mich gab es keinen schöneren Tag im Jahr.

Meine Kinder möchte ich genauso hochleben lassen. Sie sollen sich einen Tag wie Prinzessinnen fühlen dürfen. Nach unserem anstrengenden letzten Jahr ist dieses Bedürfnis umso größer. Ich will Marie feiern, ihr noch mehr zeigen, wie stolz ich auf sie bin und wie großartig sie ist. Am liebsten würde ich ihr die größte Party der Stadt schmeißen.

Und dann sagt Tim: "Was denkst du denn, wäre für Marie ein wirklich schöner Geburtstag?" Und ich schlucke.

Ein großes Fest mit vielen Leuten? Marie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit? Geschenke auspacken, die eigentlich gerade gar nicht wichtig sind? Es stimmt, ein perfekter Geburtstag würde für Marie anders aussehen.

Ein perfekter Geburtstag?

Marie wird zu ihrem Geburtstag wie jedes Jahr einen Heliumballon bekommen. Wenn sie ihn sieht, wird alles andere egal sein, denn ein Heliumballon ist das tollste, was es gibt. Sie wird ihn nicht mehr aus der Hand geben. Ist auch kein Problem, denn den Geburtstagskuchen (mit dickem Schokoüberguss, an dieser Stelle verstehen wir Wagners nämlich keinen Spaß!) kann man auch mit einer Hand essen. Vielleicht wird sie sich über ein Geburtstagslied freuen, vermutlich wird sie "Die Räder vom Bus" noch mehr begeistern. Ihre Geburtstagskrone wird sie nur kurz aufsetzen, aber wenn Tim und ich sie gemeinsam mittags von der Kita abholen, wird sie ausflippen vor Freude. Vielleicht werden wir zu einem Brunnen fahren und sie wird kreischend durch die Fontänen rennen. Oder wir fahren auf einen Kinderbauernhof, auf dem sie Kaninchen füttern darf. Sollte sie sogar auf das große Pferd dürfen und darauf eine Runde durch den Hof reiten, dann wissen wir, wird das der schönste Geburtstag auf Erden für sie sein.

Nur: Wo sind die Geschenke? Wo ist der Verwandschaftsbesuch? Marie braucht keine Geschenke, sie versteht das Konzept nicht. Viele neue Gegenstände überfordern sie eher, weswegen wir ihre Geschenke ohnehin über Wochen hinweg verteilen. Auch Besuch ist so eine Sache: Schnell ist er ihr zu viel und sie zieht sich zurück.

Vielleicht denkt ihr jetzt, dass wir doch schon die Lösung gefunden haben. Wieso halte ich an einer Geburtstagsparty fest, wenn es doch überhaupt nicht das richtige für meine Tochter ist?

Ich glaube, ich habe den Eindruck, dass ich ihr, sollten wir ihren Geburtstag nicht mit großem Besuch feiern, etwas wegnehme. Wenn wir drei Monate später Paulas Geburtstag ganz klassisch feiern (mein Gefühl sagt mir: Paula ist geburtstagstechnisch ganz die Mama ;-)), ist das dann nicht unfair gegenüber Marie? Sollte sie nicht auch eine Party haben dürfen und sich eben nur so viel daran beteiligen, wie es für sie gut ist? Kann ich denn wissen, dass Marie wirklich keine Party will? Verhindere ich durch meinen Beschützerinstinkt nicht auch die Möglichkeit, dass Marie alle überraschen wird?

Ein wenig Bedenkzeit haben wir noch.

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