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Was mir meine Tochter beigebracht hat

Achtsamkeit

Ok, zugegeben, sie hat sie mir nicht beigebracht, sondern mir immer wieder demonstriert. Witzig, wenn ich das so aufschreibe, kommt es mir fast vor, als sei ich "die Autistin", die es an diesem Punkt nicht schafft nachzuahmen und zu lernen. Marie kann unglaublich sorgsam und gründlich Gegenstände untersuchen. Als sie ein Baby war, nahm sie Gegenstände in die Hand, befühlte sie, betrachtete sie, kostete sie, und das alles mit einer Ruhe und Faszination, die in unserem Alltag so oft verloren geht. Heute macht sie das nicht mehr ganz so stark, aber in ihrem oft eher einfachen Spiel steckt nach wie vor viel Ganz-im-Hier-und-jetzt-Sein. Manch einer gibt Hunderte Euros aus um solch eine Achtsamkeit zu lernen. 

Die kleinen wie großen Freuden

Was ich auch gelernt habe, ist, mich über alle großen wie kleinen Erfolge zu freuen, unabhängig davon, wann sie eintreten. Als Marie erst mit 19 Monaten frei gelaufen ist, habe ich mich trotzdem genauso gefreut wie als sie mir schon sehr früh an die Nase griff, wenn ich sie fragte, wo diese sei (leider hörte dies dann nach 3 Monaten wieder auf). Was ich sagen will: Egal wie langsam oder anders ihre Entwicklung ist, ich freue mich über jeden einzelnen Schritt. Da ist kein „Na endlich, das wurde aber auch Zeit“Abhaken, da ist eine große, authentische Freude bei jedem von uns. 

Bedingungslose Liebe

Ich durfte außerdem die Erfahrung machen, über alles geliebt und vergöttert zu werden. Ich schreibe das so explizit auf, weil es etwas ist, was man von Autisten vielleicht nicht unbedingt vermutet. Aber wenn meine Tochter mich mit ihren großen, braunen Augen anstrahlt, dann ist da so viel bedingungslose Liebe, nicht nur von mir, sondern gerade auch von ihr. Für diese Momente lebe ich. Diese Kinderaugen, dieses Strahlen meiner Töchter. Das viele Kuscheln. Die Familienzeit. Was auch immer meine Tochter für eine Diagnose haben mag, das, worauf es ankommt, ist in ganz großen Mengen vorhanden. 

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